Mit neugierigem Blick fängt der zwölfjährige Erzähler Kil-nam das Leben der fünf Flüchtlingsfamilien im »Haus am tiefen Hof« ein. Nach dem Ende des Koreakrieges suchen sie in der südkoreanischen Großstadt Taegu Fuß zu fassen, gequält von Hunger und Krankheit, von Angst und schrecklichen Erinnerungen, doch aufrechterhalten von dem zähen Willen, sich zu behaupten. Kim Won-il mischt das Pathos des Mitleids mit ironischer Distanz, er zeigt Verständnis und Respekt, stellt aber auch bloß. Der 1988, gegen Ende der Militärherrschaft in Südkorea, erschienene Roman leistet einen wichtigen Beitrag zu einer Vergangenheitsbewältigung, bei der nicht die politischen und militärischen Kämpfe im Vordergrund stehen, sondern die lange nachwirkenden Verletzungen, die sie in den Seelen der Menschen angerichtet haben. Über den Autor:
Kim Wonil wurde 1942 geboren und studierte in Taegu Literatur. Er gehört zu den repräsentivsten und produktivsten koreanischen Erzählern der Nachkriegszeit. Eines der zentralen Themen bei Kim Wonil ist die nationale Teilung. Sein Vater war vor Ausbruch des Koreakrieges (1950-1953) kommunistischer Aktivist und ging während des Krieges in den Norden. Er ließ seine Frau und vier Kinder völlig mittellos zurück und setzte sie damit ständiger Bespitzelung aus. Aufgrund dieser traumatischen Erfahrungen behandelt Kim Wonil häufig menschliche Tragödien, die sich aus der koreanischen Teilung ergeben. Er erhielt mehrere angesehene Literaturpreise, seine Werke wurden ins Englische, Französische, Spanische und Japanische übersetzt.
Aus dem Koreanischen übersetzt von Hyuk-Sook Kim und Manfred Selzer
Gab-Su Kim arbeitet bei einem Verlag, ist Familienvater und trägt wie viele Koreaner die Narben eines Krieges mit sich, der das Land geteilt hat. Als er die Nachricht vom Tod seines Onkels bekommt, fährt er für die Bestattung in seinen Heimatort und trifft dort Bekannte wieder, die ihn an eine Kindheit voller Armut, Hunger und Sorgen erinnern. Vor achtundzwanzig Jahren hatte sich Gab-Sus Vater, ein armer Schlachter, einer Gruppe von Kommunisten und dem Kampf für ein neues System angeschlossen. Es waren wirre Zeiten, die für den 14-jährigen Gab-Su und seinen kleinen Bruder schwer zu verstehen waren. Für die beiden Kinder war einzig wichtig, dass ihr gewalttätiger Vater und ihre Mutter, die von zuhause geflohen war, wieder zusammenkamen. Doch die Vorboten des Korea-Krieges hinterließen letztlich tiefe Wunden, mit denen sich Gab-Su nun ein letztes Mal auseinandersetzen muss, um seinen Seelenfrieden zu finden. KIM Won-Il, Jahrgang 1942, ist Repräsentant der koreanischen Nachkriegsliteratur. Er behandelt den Koreakrieg und die daraus folgende und bis heute andauernde Landesteilung. Kim schildert Kleinbürger, die Opfer dieses geschichtlichen Hintergrunds geworden und gefangen von Ideologie sind, an Minderwertigkeitsgefühlen leiden, lakaienhaft das Gesetz befolgen und Anonymität dem sozialen gemeinschaftlichen Leben vorziehen. „Abendrot“ (1987) ist das dritte Buch des Autors, das in Deutschland veröffentlicht wird. „Das Haus am tiefen Hof“ (1988) ist im Jahr 2000 beim Iudicium Verlag und „Wind und Wasser“ (1985) beim Pendragon Verlag (1998) erschienen. Dr. Hyuk-Sook KIM ist promovierte Germanistin und derzeit als Lektorin für Koreanisch an der Goethe Universität in Frankfurt am Main und freiberufliche Literaturübersetzerin tätig. Manfred Selzer hat Germanistik studiert und arbeitet als freier Übersetzer, Lektor und Online-Redakteur.